Einer unserer Narrative-Designer, Matt, hat sich einen Moment Zeit genommen, um uns seine Perspektive auf einige Herausforderungen zu geben, die wir zu überwinden versuchen wenn wir neue Geschichten zu einer bestehenden Zeitlinie hinzufügen. Nachfolgend erhaltet ihr einen Einblick in seinen Gedankenprozess.

Ich habe bereits zuvor über unsere Zeitphilosophie bei der Erstellung der Geschichten für Path of Exile und Path of Exile 2 gesprochen, und ich möchte darauf etwas ausführlicher eingehen, da es um die Eroberer des Atlas und zukünftige Inhalte geht. Wenn ihr Nick Kolans Beitrag zur Integration von Geschichten aus Ligen in bestehende Überlieferungen gelesen habt, dann erinnert ihr euch sicherlich an unsere “Tag Null”-Regel. Kurz gesagt, jedes Mal, wenn ein neuen Charakter erstellt wird, wird dieser im selben Moment in der Geschichte Wraeclasts am Strand angespült: Am Tag Null. Die historische Zeitlinie vor diesem Datum bleibt immer die gleiche, und von hier aus an verzweigt sich der Pfad durch die Zeit.

Der gerade neu geschaffene Verbannte befindet sich in einer parallelen Zeitachse zu all den anderen Charakteren, die jemals erstellt wurden. Dies ist ein Grund, warum Ligen im Allgemeinen nicht aufeinander verweisen: Die Breach-Liga und Abyss-Liga geschahen beispielsweise während der gleichen historischen Zeit auf Wraeclast, aber in getrennten Zeitlinien. Ähnlich verhält es sich später im Spiel, wenn ihr jedes Mal Zana begegnet. Euer Charakter verbündet sich mit ihr zum ersten Mal, um den Schöpfer im Atlas zu finden. Das hat im Laufe vieler Aktualisierungen gut funktioniert, solange wir die Geschichte des Schöpfers aktualisiert haben, anstatt sie zu verändern.

Mit der “Eroberer des Atlas”-Erweiterung endete auch der Krieg um den Atlas. Die Ereignisse, an denen der Schöpfer, der Älteste und Zana beteiligt waren, wurden narrativ von der Zeitlinie des Charakters (euer Verbannter) und des Spielers (ihr) auf die historische Zeitlinie (unveränderlich und Teil des Wraeclast-Inhaltes, bevor euer Charakter auftaucht) verschoben. Scharfsinnige Spieler werden feststellen, dass es jetzt tatsächlich einen zweiten "Tag Null" für den Beginn des Atlas-Endgames gibt: nicht den Moment, an dem euer Verbannter an Land gespült wird, sondern in dem Moment, an dem euer Verbannter das Templerlabor betritt und den Kartenapparat explodieren sieht.

In der Diskussion um diese neue Geschichte wurde dies zum Teil als "retcon" (Retroactive continuity = nachträglich eine bereits erzählte Geschichte ändern) bezeichnet. Wo vorher der Schöpfer und der Älteste am Endgame beteiligt waren, sind jetzt die Eroberer beteiligt, also ist an dieser Sichtweise durchaus etwas Wahres dran. In meinem Vortrag "Storytelling in Path of Exile" auf der Exilecon sagte ich etwas in der Art: "Es ist meine Aufgabe, retcons zu vermeiden, wann immer es möglich ist". In vielerlei Hinsicht agiere ich als Verfechter der Spielerfahrung angesichts der Geschäfts- und Designrealitäten. Ich bin selbst ein langjähriger Spieler und mir ist die Geschichte vom "Schöpfer und Ältesten" mit der Zeit immer wichtiger geworden, und ich wollte nicht, dass sie nur deshalb verschwindet, weil es Zeit für eine mechanische Überholung des Endgames war. Gemeinsam haben Nick Kolan und ich den "Tag Null" des Endgames auf einen neuen Zeitpunkt verschoben. Als Änderung unserer Zeitphilosophie war dies etwas, das wir noch nie zuvor getan hatten, aber es hat eine Version in der Geschichte Wraeclasts kanonisiert, so dass diese nicht einfach für immer verloren ging.

Dabei haben wir eine Menge darüber gelernt, was für den emotionalen Kern einer laufenden Spielwelt wichtig ist. Zana muss immer noch ihre Kämpfe ausfechten, aber mit der Beteiligung von anderen Verbannten und nicht mehr mit eurem Charakter. Die Ereignisse, an die sich die Spieler erinnern, geschahen immer noch den Charakteren, die uns wichtig sind. Auf diese Weise ist es uns gelungen, einen Teil der emotionalen Geschichte von Path of Exile selbst zu bewahren.

Stellen euch als Kontrast dazu vor, wenn wir das nicht getan hätten. Ihr spielt die Handlung durch, besiegt Kitava ein für alle Mal und taucht dann in Oriath auf. Ihr werdet von Kirac begrüßt, aber er verfolgt nur unbekannte Verbannte, die aus dem Atlas heraus die Stadt überfallen. Ihr legt los und geht auf Jagd nach diesen neuen Bedrohungen, wobei ihr wahrscheinlich das Gefühl haben werdet, dass die Bedrohungen größtenteils willkürlich sind, da wir sie vor dem Epilog weder eingeführt noch aufgebaut haben. Zana, der Schöpfer, und der Älteste haben nie existiert. Ihr erinnert euch an ganze Handlungsstränge und Zeitabläufe, die einfach nie stattgefunden haben. Das Endgame, das ihr in den letzten sieben Jahren immer wieder durchgespielt habt, spielt plötzlich keine Rolle mehr. Das würde sich wahrscheinlich enttäuschend anfühlen. Tatsächlich fangt ihr an, euch von dieser neuen Geschichte zu distanzieren, weil ihr die Entwürfe gelesen habt und euch klar wird, dass auch diese Geschichte in ein paar Jahren einfach verschwinden wird, wenn es Zeit für eine Überarbeitung ist...

Glücklicherweise haben wir das nicht getan. Das Hinzufügen eines neuen Punktes für den “Tag Null” funktionierte so gut, dass er sich als Werkzeug für das Erzählen von Geschichten einfach wiederholen könnte. Zum Beispiel beginnt Path of Exile 2 selbst an einem neuen “Tag Null”, sodass wir uns endlich auf vergangene Ligen als Dinge beziehen können, die tatsächlich geschehen sind. Werden die Riss-Fürsten zu tatsächlichen Teilnehmern an der Hauptgeschichte? Werden die Vorboten schließlich einfallen? Was haben die Abgrund-Monster mit der alten Maraketh-Kultur zu tun? Wird Alva sich jemals eine goldene Nase verdienen? Was passiert, wenn wir den Balken in Tanes Labor auffüllen? Woher kommt der Blight-Pilz?! Was will die seltsame Stimme von uns?! Mit wem geht Es, das entkam heutzutage aus?!?!?

Gönnen wir uns eine Verschnaufpause... all diese Fragen werden vielleicht nicht beantwortet, aber es macht Spaß, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass man es dank des neuen Startpunktes von Path of Exile 2 beantworten könnte.

Ein weiteres wichtiges Beispiel dafür, wohin wir den “Tag Null” verschieben könnten: Wenn ein neues Endgame geschaffen wird, werde ich darauf drängen, dessen “Tag Null” wieder nach oben zu verschieben, sodass die Eroberer und Sirus kanonisiert werden können. Wenn diese Ereignisse aus der Zeitlinie der Charaktere und Spieler in die historische Zeitlinie verschoben werden, wird es wieder mit einem Verbannten stattgefunden haben, der nicht ihr wart, aber zumindest werden die Auswirkungen der stattgefunden Ereignisse immer noch greifbar sein. Derzeit sehen wir Zana zum letzten Mal, während sie untröstlich und allein ist, während sie den notwendigen Tod ihres Vaters und jedes einzelnen ihrer ehemaligen Freunde verarbeitet. Wir können die Dinge nicht so stehen lassen!

Lasst mich in den Antworten wissen, ob ihr glaubt, dass diese Methode zur Bewahrung des Handlungsablaufs für euch funktioniert, welche Liga-Handlungsstränge ihr in Path of Exile 2 fortgesetzt sehen möchtet und was eurer Meinung nach als nächstes passieren könnte...
Beitrag von 
am
Grinding Gear Games
Ich bin nicht sicher ob meine Sicht dazu hilfreich ist. Selbst spiele ich seit den 80ern P+P und am PC, vor allen RPG's. Inzwischen habe ich die Vorstellung, daß wenn es AddOns oder Erweiterungen gibt, es auch eine echte Ausweitung der Spielumgebung ist - neue Länder, Reiche oder gar Welten.

Hier ist es ehr doch so, daß man im groben 2x den Rundkurs durch die gleichen Zonen macht, um sich am Ende in den Welten des Atlas austoben zu können. Neue Ligen spielen bisher immer im gleichen Szenario, auch wenn sie neue Inhalte mitbringen. Trotzdem muß man sich fragen, wo kommen die nun her, waren die vorher noch nicht da oder unbekannt? Eine echte Erweiterung kann nur als Prequel oder als beyond Atlas, eine Fortschreibung der Timeline darstellen.

Als Spieler kann man doch nicht die Erlebnisse der bisherigen Char löschen, man war ja dabei - außer die Story ist einem Wumpe und der Char nennt sich knackwurst123. Wenn nun Ereignisse die man in und auswendig kennt, wie auch die Struktur der meisten Zonen in einen anderen Kontext gesetzt werden, führt das mindestens zur Verwirrung.

Es war eben kein no name Held, man war das selber (bzw einer der Char), man hat das erlebt, hat gekämpft, gehofft und letztendlich gesiegt und überlebt. Das Alles fällt weg; ältere Char sind nun beliebig, namenlos unter vielen. Aber hat man den finalen Bossfight vllt noch vor Augen und das Erlebnis ist präsent.

Im P+P habe ich ein erschreckend gutes Gedächtnis, Abenteuer erneut zu spielen klappt nicht so gut, irgendwann macht es Klick und die Infos sind wieder present. Einige legendäre Situationen sind im Gedächtnis, wie ein Traum oder berühmte Film Szenen. Solche Momente gibt es auch beim MMO Spielen, dafür ist aber die Fortschreibung der eigenen Geschichte nötig, um darauf zurück zu blicken.

Natürlich sind die Anforderungen im Bereich Hack&Slash andere Schwerpunkte. Für einige ist die Story wenn schon nicht störend doch zumindest Schnickschnack oder nutzloses Beiwerk - und wird teilweise nicht mal gelesen. Ich selbst finde eine Story wichtig, auch als Antrieb sich damit auseinander zu setzen.

Selbst simple Handy Spiele haben eine tolle Story und dann ist es doch nur Tetris oder so. Aber sie muß rund sein, damit sich die Player darauf einstimmen können. Story Brüche führen mindest zu einm Hä? wenn nicht zu einen "die wollen mich doch veralbern" bis zum ganz Abwenden.
Zuletzt bearbeitet von Frostdart um 24.07.2020, 16:28:45

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